André Acimann versucht sich nach seinem erfolgreichen Debüt „Ruf mich bei deinem Namen“ mit „Acht Helle Nächte“ ein weiteres Mal als Romanautor
von Joe Schultheiß
Hat dieses Buch, „Acht Helle Nächte“, auf dem Markt überhaupt eine Berechtigung? Was kann an einem Liebesroman noch neu sein, nach gefühlt Tausenden von Filmen, Fernsehserien und nicht zuletzt Büchern über dieses Thema, über zwei Menschen, die versuchen zusammen zu sein.
Die Handlung des Romans ist auf den ersten und auch zweiten Blick tatsächlich nichts sonderlich Besonderes, eigentlich sogar gewohnt banal: Mann (hier der namenlose Erzähler) wird von Frau mit dem Satz „Ich bin Clara“ auf einer Weihnachtsparty angesprochen. Die beiden verbringen eine Woche – mal mehr, mal weniger – miteinander. Machen in dieser Zeit einen Ausflug in die Vororte New Yorks, tingeln durch die Stadt und treffen sich, im Rahmen eines Rohmer-Festivals, an (fast) jedem Abend im Kino, bis sie pünktlich zu Silvester vor der Entscheidung stehen, ob sie ein Liebespaar werden wollen oder doch wieder auseinandergehen.
Das Außergewöhnliche an dem Buch ist, was mit uns Lesern gemacht wird. Wir werden kompromisslos in den Kopf des Erzählers geworfen, erleben durch die Augen des – bald von Clara Prinz Oskar getauften – Erzählers, wie er und Clara ihre eigene Geheimsprache entwickeln, sich näherkommen, sich wieder voneinander entfernen, wieder näherkommen, usw..
Dieser Stil, in der Tradition von Marcel Proust, ist eine der großen Besonderheiten und Stärken dieses Buches. Der Erzähler lässt uns teilhaben an seinen Zweifeln und seinen Ängsten, nimmt uns mit in den Strom seines Bewusstseins und verliert sich häufig in seinen eigenen Gedanken. Wir erleben ihn als eine fragende und unsichere Figur, die alle Äußerungen, alle Bilder in stark ausufernden Vergleichen kommentiert und diskutiert.
Manchmal übertreibt André Acimann es allerdings ein wenig mit seinem menschlich-allzumenschlichem Erzähler: Dies führt häufig dazu, dass der Leser auf dem Gedankenstrom Schiffbruch erleidet und erst einmal nachdenken muss, was eigentlich passiert ist. Dabei stören weniger die Passagen, in denen sich der Erzähler in ‚was-könnte-passieren‘-Gedankenspielen verliert, bei denen der Leser erst überlegen muss, was tatsächlich und was gerade im Kopf des Erzähler passiert ist, sondern eher die teilweise überlangen und überkomplizierten Sätze.
Abgesehen von solchen Eingewöhnungsschwierigkeiten stellt das Buch noch einen anderen Anspruch an den Leser: Wo andere Bücher durch klar umrissene Personen und eine ungewöhnliche Handlung bestechen, weiß der Leser von „Acht Helle Nächte“ nicht, wie eigentlich Clara und ‚Er‘ aussehen, was sie antreibt oder was sie wollen. Der Leser muss versuchen, ihnen Motive und Eigenschaften zuzuschreiben, sich sein eigenes Bild von beiden zu machen, vielleicht in einen Dialog mit dem Buch zu treten, ihm dadurch Sinn zu verleihen und für sich selbst eine Motivation zu finden weiterzulesen.
Wen will der Erzähler? Die „Wortgefechts-Partnerin, das Ich-wegen-Clara“ oder „Clara selbst“?
Liest man das Buch ohne diese ‚Arbeit‘, wird man schnell frustriert sein von dem ständigen „zwei Schritte vor, drei zurück“ der beiden einzigen Hauptfiguren und das Buch recht bald entnervt weglegen.
Überhaupt braucht der Leser von „Acht Helle Nächte“ (im Amerikanischen „Eight White Nights“) vor allem Durchhaltevermögen. Falls man dies nicht aufbringen kann, ist die kunstvolle Sprache mit ihren vielen Verweisen auf andere Künstler, vom Rohmer-inspirierten Plot bis hin zum Dostojewski abgeschauten Buchtitel („Acht Weiße Nächte“) eher ein Ärgernis als eine Freude. Ohne eigene Lesearbeit zeigt man sich schnell gelangweilt von dem farblosen Erzähler, dessen innere Konflikte, wie etwa der Tod seines Vaters, nie explizit zum Thema gemacht werden.
Im Großen und Ganzen versteckt sich das Buch für einen passiven Leser wohl eher hinter einer blumigen Sprache, genauso wie Erzähler und Clara voreinander. Kann man für sich keine Freude an komplizierten Satzkonstrukten, vielen Metaphern/Vergleichen und „Schützengraben-Dialogen“ finden, ist man besser beraten dieses Buch nicht zu lesen. Wer jedoch bereit ist, auf das Buch einzugehen und einen gewissen Leseaufwand zu betreiben, wird mit einem anspruchsvollen und unterhaltsamen Stück echter ‚Literatenliteratur‘ belohnt.
Aciman, André: Acht Helle Nächte. 521 Seiten. Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttman. Zürich: Kein & Aber 2010.
ISBN: 3036955720.
Preis: 22.90 €.
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